Joachim Geil über Rainer Bauer

Rainer Bauer löst Landschaft als semantischen Begriff wie auch als Raum auf. Er reflektiert zentrale Bildmerkmale und Ausschnitte der Landschaftsmalerei wie den Horizont, die Linie zwischen Land und Himmel, die zwei kontrastierende Paletten miteinander verbindet, und natürlich die Oberflächen, die gemäß der Tradition zentralperspektivisch wiederzugeben sind und der Horizontlinie zustreben.

Dabei steht nicht - wie z.B. bei Gerhard Richter - das Objektiv der Kamera im Vordergrund, das zunächst den dreidimensionalen Landschaftsraum auf die lichtempfindliche zweidimensionale Fläche des Filmes projiziert und ihn dadurch schon für das perspektivische Abbild technisch einfängt.

Bauer thematisiert vielmehr die höchst intellektuelle Konstruktion der Zentralperspektive selbst, die in der Renaissance erfunden und zur gesetzlichen Grundlage der gemalten Imitation wurde.

Er tut dies gleichsam als Meditation, durchaus stimmungsvoll im Sinne einer atmosphärischen Lichtstimmung, durchaus wiedererkennbar als Wolkenbild oder Wellen eines Sees. Doch durch die ungewohnte Vergrößerung des Ausschnitts wird das unruhig geriffelte Wellenbild einer Wasseroberfläche zu einer abstrakten Linienformation und damit zur Reflexion über die zweite Grundlage der Malerei - die Farbe. So lassen die Gemälde von Rainer Bauer den impressionistischen Augenblick, die Reflexfarbe, hinter sich und wenden sich allgemeingültigen Erkundungen zu: Fragen nach dem Wesen der räumlichen Erscheinung, nach dem, was dahinter steckt, nach den Strukturen, die beim Betrachter einer Landschaft zunächst nur kurzgeschlossen werden zu schematischen Begriffen wie Seelandschaft, Abendstimmung, Uferlandschaft usw. Bauer schafft ohne die gemischte Palette aufzugeben entgegenständlichte Einsichten in Wesenhaftes, ähnlich der Konkreten Kunst. Er löst den Raum in seine Strukturmerkmale, wie sie von einem Betrachter wahrgenommen werden, auf und analysiert die Grundlage der Malerei: Farbe und Fläche anstelle von Raum und Zeit. Doch nicht nur Analyse von Farbe, Raum und Licht spricht aus den Bildern. Eine emotionale Befindlichkeit kommt hinzu, die den Betrachter direkt anspricht. Es ist die eigentümliche Blickrichtung, die die Perspektive des gewählten Naturausschnitts bildet: eine leichte Aufsicht auf das Motiv, das den subjektiven Eindruck von Melancholie erweckt, zumindest des Meditativen. Wenn man bedenkt, dass sich die Landschaftsausschnitte meist durch eine große Nähe zum Betrachter auszeichnen, dann könnte diese Aufsicht auf das Motiv dem gesenkten Blick eines Menschen entspringen, der für uns den Blick einnimmt und den man in der Literatur als Erzählerfigur bezeichnen würde. Und durch unseren sentimentalen Wunsch, dem betrachtenden Künstler wenn nicht gleich, so doch sehr nahe zu sein, ihn empathisch zu begleiten, seine Empfindungen nachzuempfinden, halten wir diesen Blick für den melancholisch oder traurig gesenkten Blick des Malers. So entsteht die Vorstellung eines subjektiven Blickwinkels. Durch ihn sehen wir jenseits aller analytischen, ja philosophischen Betrachtung einen wesentlichen Aspekt in der Wahrnehmung von Kunst, den Maler selbst, mit dem wir uns identifizieren und dessen Blick der unsere wird. Die Welt, die im Kopf des Künstlers entstanden ist, entsteht in allernächster Nähe im Kopf des Betrachters zum zweiten Mal.
Joachim Geil